Aktion Mensch Boule und Boccia für Menschen mit und ohne Handicap
von Christoph Roderig · 2. Oktober 2025
Boule und Boccia für Menschen mit und ohne Handicap
Der ganz normale Spiel- und Sportbetrieb
„Behindert ist man nicht, behindert wird man“, diese Erkenntnis ist der Schlüssel zu allen Aktivitäten rund um die Integration von Menschen mit einem Handicap in die Gemeinschaft und den Alltag all derer, die ihr Leben ohne körperliche, geistige oder andere Einschränkungen bewältigen dürfen. Kaum eine gemeinsame Aktivität ist hierbei so niedrigschwellig wie das Boulespiel oder der Pétanque-Sport. Die Unterscheidung zwischen beidem sollte man allerdings grundsätzlich machen.
Das Boulespiel beschreibt eine gemeinsame Zeit, in der man mit- oder gegeneinander antritt, um am Ende als Erste mit 13 Punkten und also als Sieger*innen dazustehen. Sieg oder Niederlage stehen hier allerdings nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um das Miteinander, den Spaß am Spiel, die Komplimente für gute Kugeln genauso wie den freundlichen und fröhlichen Spott, wenn etwas nicht so gut gelingt. Das Boulespiel ist vor allen Dingen eines: Kommunikation. Auseinandersetzung miteinander, lernen übereinander und gegenseitige Anleitung nicht nur im Bezug auf den nächsten Wurf.
Wer Boule spielt verbringt Zeit mit Menschen an der frischen Luft und bleibt körperlich und – angesichts taktischer Herausforderungen – geistig in Bewegung. Das Team im Spiel erlebt emotionale Achterbahnen vom Jubel über den exzellenten eigenen Treffer bis zum resignierten Schulterzucken, wenn der eigene Wurf versehentlich zum Vorteil des Gegners gereichte. Das Boulespiel beschreibt eine große Bandbreite an sportlichen, kognitiven und emotionalen Augenblicken. Hier kann niemand (siehe oben) dabei behindert werden, eine gute Zeit mit anderen Menschen zu verbringen.
Für den Pétanquesport gilt natürlich dasselbe, was hier über das Boulespiel beschrieben wurde. Mit einem kleinen Unterschied: wer im organisierten Wettkampfsport mit den Kugeln aktiv ist, der oder die will auf jeden Fall gewinnen! Im Pétanquesport gilt seinem komplexen Regelwerk ein wesentlich höheres Augenmerk. In dieser Variante geht es weniger um das gesellige Miteinander als darum, den Gegner mit präzisen Würfen und einer ausgefeilten Taktik in die Knie zu zwingen. Beim organisierten Wettkampfsport des Pétanque spricht man z.B. über einen Liga-Spielbetrieb der von der Kreisklasse bis über die Landesligen und in die Bundesliga reicht. Es geht hier um Qualifikationen, Landes- und Deutsche Meisterschaften, die jedes Jahr in allen bekannten Disziplinen dieser Sportart ausgefochten werden. Der Pétanquesport steht ab einer bestimmten Qualität und einem entsprechenden Ehrgeiz anderen Leistungs- oder Spitzensportarten in nichts nach. Im Gegenteil gibt es hier eine ganz eigene, eine seltene Besonderheit.
Im Pétanquesport gibt es zunächst keine spezielle Variante für Menschen mit Handicap. Wer mindestens einen einsatzfähigen Wurfarm und keine wesentliche Einschränkung der Sehfähigkeit hat, kann jederzeit am „ganz normalen“ Spielbetrieb teilnehmen. Wer in der Lage ist, an einfachen Karten- oder Brettspielen wie „Mau Mau“ oder „Mensch ärgere Dich nicht“ teilzunehmen, der ist auch mit dem Regelwerk des Pétanque und seinen taktischen Finessen nicht schnell überfordert. Tatsächlich gibt es in der Geschichte des Deutschen Pétanque-Verbandes Champions, Deutsche Meister*innen und Nationalspieler, die einen offiziellen uneingeschränkten Behindertenausweis haben.
Der Schlüssel zum Erfolg für Menschen mit Handicap ist beim Pétanque derselbe wie für Spieler*innen ohne Handicap und heißt: üben, üben, üben. Gezielte Anleitung durch ausgebildete Trainer gehört hier ebenso dazu wie in jeder anderen Sportart. Natürlich bedarf es für Menschen mit Handicap von Fall zu Fall einer besonderen Heranführung, einer angepassten Methodik und Didaktik. Aber am Ende treten sie in denselben Wettbewerben an, wie Menschen ohne Handicap und können hier ebenso erfolgreich oder eben sogar erfolgreicher sein.
Und dieser letzte Aspekt beschreibt natürlich ebenfalls eine seltene Möglichkeit der vollständigen Integration, des barrierefreien Miteinanders im Sport von Menschen mit und ohne Handicap. Was für eine Erfahrung, was für Erlebnisse sind dies für Menschen, die in ihrem Alltag besondere Rücksicht und Unterstützung brauchen, wenn sie sich an dieser Stelle auf Augenhöhe messen oder sogar als „besser“ beweisen können? Was für eine Anerkennung erleben gute Spieler*innen mit Handicap in einer Mannschaft mit Leuten ohne irgendwelche Einschränkungen. „Wir möchten gerne Michael oder Michaela in unserem Team haben, das ist eine echte Verstärkung!“ Michael hat das Downsyndrom, Michaela sitzt im Rollstuhl.
In dem Format „Boule und Pétanque für Menschen mit und ohne Handicap“ sollen Interessierte die hier beschriebene Faszination des Spiels und des Sports kennenlernen. Sie sollen etwas über die eigenen Möglichkeiten erfahren, diese Faszination in ihrem Umfeld, ihrem Verein oder ihrem Quartier erlebbar zu machen. Und natürlich soll auch jede*r selbst eine erste Anleitung zum erfolgreichen Spiel und Sport erfahren und dabei herausfinden, ob dies ein neuer Teil eines abwechslungsreichen Alltags in der eigenen Freizeit werden kann.
Boule und Pétanque, das ist Kommunikation, das ist Anerkennung, das sind Erfolgserlebnisse, das ist Ehrgeiz, Durchsetzungswille und Disziplin im Training für jedermann und -frau. Für Menschen mit oder ohne Handicap.
Der Boule- und Pétanque-Verband NRW freut sich über jede*n, der oder die sich auf diese Erfahrung einlässt – und natürlich insbesondere über alle, die hier anschließend am Ball, bzw. in unserem Fall an den Kugeln bleiben und unsere sportliche Gemeinschaft bereichern.
Christoph Roderig